(2)
Die High-Tech-Welt, so heißt es, erfordere ein besonderes Maß
an "Kommunikationsfähigkeit". Ist dieser Begriff aber
hier nicht gründlich von den letzten Resten seiner ursprünglichen
Bedeutung gereinigt, selbst schon technisch "umprogrammiert"?
Wer kennt nicht das befremdliche Gefühl mit einem
Anrufbeantworter oder gar einer computergesteuerten Hotline
"zu kommunizieren"? Was also hat die Verhinderung und
tendenzielle Zerstörung des Gesprächs und erst recht
einer communio als Verstehen, was der Übergriff eines
entfesselten babylonischen Technojahrmarkts, der, das ist die
Pointe, von seinen Opfern, die sich für Privilegierte und
Befreite halten, auf Schritt und Tritt Gebühren verlangt, mit
Kommunikation zu tun? Betrachten wir nur einmal die gewöhnlichen
Nutzungsformen am Beispiel eines Home-PC wobei rein
berufliche Nutzanwendungen wie "Textverarbeitung", die
Datenverwaltung des Versicherungsvertreters oder die "Music-Machines"
der Nachwuchsmusiker außer acht bleiben , so lassen sich,
ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit, eher ernüchternde
"User-Profile" erkennen. Natürlich ist diese Liste ganz unvollständig. Was jedoch zu
beobachten ist, ist einerseits ein Nebeneinander
von neuen Technologien und ganz gewohnten, althergebrachten,
teilweise ausgesprochen anachronistischen Umgangsweisen mit
diesen Technologien. Man verhält sich gegenüber seinem
Homecomputer vielfach nicht anders wie gegenüber seinem Auto, so
daß wir hier wie da die ganze Palette möglicher Umgangsformen
vom Tuner oder Dekorateur über den Technikfreak bis zum Raser
finden. Grundsätzlich gilt das auch für die Handynutzung.
Manche haben es nur, um alle paar Wochen neue Verkleidungen oder
Zierblenden für dieses Gerät zu erwerben, anderen ist es ein
Blendmittel an sich, wieder anderen dient es der unendlichen
Fortsetzung des "Chatens", dem Überspielen von
Langeweile oder Mußeanfällen oder eben auch der
Fernsteuerung des Homecomputers. Grundsätzlich wird die digitale
Unterhaltungselektronik immer kombinier- und mitunter auch
austauschbarer, so daß in modernen "ferngesteuerten"
Autos zunehmend Computer und Navigationssysteme ihren Dienst tun,
man aber am Computer auch das Autofahren simulieren oder aber mit
dem Handy vom Auto aus den häuslichen Anrufbeantworter bzw. die
Autosimulation fernsteuern kann. Verständlich, daß es dabei häufiger
zu den angedeuteten bizarren Überlagerungen der Nutzungsformen
kommt, die man gerne euphemistisch als "zusammenwachsende
Technologien" ettiketiert. Können denn Geräte, die Tag und Nacht wie ein Tamagotchi
gewartet und "versorgt" sein wollen, die zum
unpassenden Zeitpunkt piepsen, vibrieren, ihren Dienst versagen
und immer und immer mehr Lebenszeit rauben,
nüchtern betrachtet etwas anderes sein als eine Belästigung?
Welche Nöte müssen erwachsen sein, daß das Nötigende wie eine
Befreiung scheint? Die Zumutung getarnt als Anmut, das Abzocken
getarnt als Service, die Eroberung getarnt als Dienst neu
ist das alles weniger im Prinzip, sondern in seiner hypertrophen,
flächendeckenden Massierung: Das "Gehäuse der Hörigkeit"
(Max Weber) scheint sich immer fester zu schließen. Sollen und
können diese "Dienste" der schönen, neuen
Onlinegesellschaft je anderes sein als ein gigantisches
Groschengrab wie die 0190-Servicenummern oder jener - auf ganze gesehen - globale
Erfahrungs-Shredder namens WorldWideWeb? Mag die "Kommunikation
im Netz" auch in einer Hinsicht räumliche
Ungleichzeitigkeiten überwinden, gewiß bewirkt sie eine
gesteigerte Ferne, ja Abwesenheit von Welt und eine Verstellung
von unmittelbarer Welterfahrung. Nicht ohne Grund bedürfen
die neuesten Erfindungen des Technokults der Aura des Sakralen.
Ob in weltweiten Initiationsfeiern Microsofts neueste
Produktpalette als Ereignisse wie Weihnachten und Ostern zusammen
zelebriert oder hierzulande die Preissenkungen der Telekom als
achtes Weltwunder inszeniert werden (und sich doch jeder fragt,
warum man jahrzehntelang Wucherpreise entrichten mußte)
dagegen verblaßt jeder kleinere oder größere
Krieg um Rohstoffe zur Marginalie. Was vermag der Schein einer
Kerzenflamme noch gegen das glitzernde Handy unterm
Weihnachtsbaum? Was sind die Bibel oder Homer gegen Windows 2000
oder den neuesten Megahertz-Chip? In diesem Paradigmenwechsel und Kulturbruch bündelt sich die
Fragwürdigkeit des homo sapiens, seine "flüchtige"
Natur, der Pyrrhussieg des Technoiden über die condition
humaine. Die Simulation "ewiger Präsenz" ist
vielleicht seit jeher ein religiöses Grundbedürfnis des
Menschen, ihre wohlfeile Käuflichkeit jedoch ist Blasphemie und
Betrug, der Glaube an ihre "Machbarkeit" aber ein
hybrider und letztlich totalitärer Aberglaube. Dort, wo das Bewußtsein
von Ferne und Differenz schwindet, gibt es auch keine wirkliche Nähe
und keinen Sinn für Rang und Würde mehr. Wo Abwesenheit
verleugnet und lautstark überrauscht wird, verliert Präsenz
selbst jede Bedeutung. Jenes technoid-virtuelle Himmelreich, das
uns scheinbar zum Souverän über Zeit und Raum macht, verstellt
uns nichts geringeres als das Leben, die Wahrheit unseres Daseins.
In Aldous Huxleys Brave New World steht der letzte
Wilde und Freiheitsbewußte verzweifelt "Eurer Fordschaft",
dem Weltaufsichtsrat persönlich, gegenüber, der ihn belehrt:
"...Die Menschen sind glücklich, sie kriegen, was sie
begehren, und begehren nichts, was sie nicht kriegen können. Es
geht ihnen gut (...) sie sind nicht mehr mit Müttern und Vätern
behaftet, haben weder Weib noch Kind...". Doch räumt er ein:
"Wirkliches Glück sieht immer recht jämmerlich aus,
verglichen mit den Überkompensationen von Unglück (...)
Zufriedenheit hat nichts vom Ruhmesglanz eines tapferen Kampfes
gegen Ungemach (...) Glück ist niemals erhaben..." In jener
bereits 1931 von Huxley mit erstaunlich visionärer Kraft
beschriebenen furchtbaren Wohlstandsgesellschaft dünkt sich
jeder deshalb "glücklich", weil alles Fragwürdige,
Tragische, Lebendige Religion und Kunst, Natur und Familie,
Liebe und Erinnern im Interesse der Wahrung eines künstlichen
"Augenblick-Glücks" strikt verbannt ist. Es gelten nur
noch zwei Maximen: "Gemeinschaftlichkeit, Einheitlichkeit,
Beständigkeit" und: "Jeder ist seines nächsten
Eigentum" die vollendete Demokratie also. Mann
und Frau sind restlos gleich, denn das unkalkulierbare Zeugen und
Lebendgebären ist zugunsten einer sorgfältig geplanten
Retortenlogistik abgeschafft. In dieser Welt der genetischen
Diktatur und standardmäßigen In-vitro-Zeugung, die weder
Kindheit noch Alter, weder das Unberechenbare noch das Unverfügbare
kennt, ist sich der Mensch selber gänzlich fraglos, sozusagen
selbst virtuell geworden, in einer hoffnungslos stabilen,
stillstehenden, eingefrorenen Gegenwart ohne Herkunft und Zukunft
gefangen. Huxley geht es, wie Nietzsche, um die Erinnerung an
unsere dionysischen Quellen, um deren Verteidigung gegen die An-
und Übergriffe eines technokratischen Gestells: Das Prinzip des
Lebendigen gilt es gegen alle Versuche seiner Verfügbarmachung
ins Recht zu setzen. Aber "reden und sogar schreiben, wenn man nichts zu sagen
hat?" wendet der letzte Wilde ein. "Aber gerade
dazu gehört die allergrößte Begabung!" entgegnet der WAR,
um im selben Atemzug das Erfolgsrezept der schönen neuen Welt zu
skizzieren: "Siebeneinhalb Stunden leichter, nicht ermüdender
Arbeit, dann die Soma-Ration [eine Droge, die "die Vorzüge
von Christentum und Alkohol ohne deren Nebenwirkunken"
hervorruft], Sport und unbeschränkte Paarung und Fühlkinos. Was
können Sie mehr verlangen? Natürlich könnten sie kürzere
Arbeitszeiten fordern, und wir könnten die ohne weiteres
bewilligen. Technisch wäre es ganz einfach, die Arbeitszeit der
unteren Kasten auf drei oder vier Stunden am Tag herabzusetzen.
Aber wären sie dann glücklicher? Nein! (...) Es wäre einfach
grausam, ihnen allzuviel Muße aufzubürden..." Muße
und Besinnung als Last. Eine tragischere Quintessenz der Flucht
aus Natur und Kosmos ins selbstgemachte "Gehäuse der Hörigkeit"
ist kaum denkbar. Wenn dem so ist, dann war die Abschaffung der
Sklaverei nicht nur eine Lüge, sondern auch Frevel. Wenn es aber
so ist, daß die Muße zur größten Last und mithin zur
letzten subversiven und erneuernden Kraft geworden ist,
dann dürfen die unmüßig Geschäftigen und die "befreiten
Sklaven" nicht eher ruhen, bis auch noch das letzte Wilde,
Lebendige, Freie "befriedet" worden ist. Zweifellos ist
auch die Telekommunikation in der schönen, ferngesteuerten
Online-Welt ein zentrales Instrument dieser Befriedung von Muße
und Besinnung. Die technoiden "Netze" scheinen, wie Heiner Müller
gelegentlich anmerkt, wie die "Kamelhäute" über
unseren Köpfen, eine Metapher, die sich auf den Roman Ein Tag
länger als ein Leben von Tschingis Aitmatov bezieht, in dem
eine archaische Form der Gehirnwäsche und Versklavung
beschrieben wird: "Dem Gefangenen, der zum Überleben
verurteilt und nicht für den Sklavenexport, sondern für den
Eigenbedarf der Eroberer bestimmt war, wurde der Kopf
kahlgeschoren und ein Helm aus der Halshaut eines frisch
geschlachteten Kamels aufgesetzt. An Armen und Beinen gefesselt,
den Hals im Block, damit er den Kopf nicht bewegen konnte, und in
der Steppe der Sonne ausgesetzt, die den Helm austrocknete und um
seinen Kopf zusammenzog, so daß die nachwachsenden Haare in die
Kopfhaut zurückwuchsen, verlor er in fünf Tagen, wenn er sie überlebte,
unter Qualen sein Gedächtnis und war, nach dieser Operation,
eine störfreie Arbeitskraft, ein Mankurt."
"Keine Revolution ohne Gedächtnis...", kommentiert Müller
und ergänzt: "Unsre Kamelhaut der Computer, er ist ganz
Gegenwart." Eine zeitleere, von Herkunft und Zukunft
abgeschnittene "Gegenwart" freilich, also eine solche,
in der nichts wirklich mehr auf uns wartet keine im Licht
des kairos gesteigerte Gegenwart, nur eine fatale
Simulation von Gegenwart, Herkunft und Zukunft. Und doch scheint
sie vielen wie eine Befreiung. Goethe notiert: "Niemand ist
mehr Sklave wie der, der sich frei wähnt ohne es zu sein." Gegenüber diesem durchschlagenden mentalen Erfolg der
modernen "Netz"-Technologien erscheinen andere Folgen
fast nebensächlich. Etwa die zunehmende Verstrahlung, der Funk-
und Wellensmog. Nirgends ist, von der Luftfahrt einmal abgesehen,
die Rede davon, die Passiv-Schäden durch diesen Wellensmog auch
nur annähernd energisch anzugehen wie es etwa in den Anti-Raucher-Kampagnen
an der Tagesordnung ist, so daß man den Eindruck gewinnen könnte,
bei letzteren handle es sich auch nur um Werbefeldzüge und eine
Art "Marktbereinigung", so als stehe der, der noch
immer dem Rauchen fröhnt, für die vielen, damit konkurrierenden
und gewinnbringenden modernen Ersatzsüchte nicht in
ausreichendem Maß zur Verfügung. Doch was ist vom
Standpunkt der Muße, der Freiheit und mentalen Gesundheit
betrachtet der blaue Dunst gegen die Kamelhäute des
extensiven Fernseh-, Computer-, Internet- oder Handymißbrauchs
und dem damit einhergehenden Verkehrs-, Medien- und Wellensmog? Können
wir uns unter der "Kamelhaut" dieses allgegenwärtigen
Smogs noch vergegenwärtigen oder darüber aufregen, daß die
Giftmenge in einem handelsüblichen Computer oder Fernsehgerät
in geschroteter oder gemahlener Form ausreicht eine Familie
auszulöschen, daß eine einigermaßen "unschädliche
Entsorgung" dieses Fortschrittmülls ein vielfaches seiner
Herstellung erfordert? Dieser fortschreitende und uniformierende, zunehmend ein
einziges "großes Rauschen" erzeugende Smog eröffnet
zudem ungeahnte Gefahren in besonders sensiblen Bereichen, wie
den Steuerungszentralen von Verkehrssystemen, Atomkraftwerken
oder militärischen Einrichtungen. Passionierten Hackern gelingen
immer wieder beeindruckende Einbrüche in die Schaltzentralen von
Banken, Pentagon oder Telekom. Was der vieltelefonierenden Öffentlichkeit
unter der Rubrik "Kuriosa" verkauft wird, löst bei
Eingeweihten freilich Alpträume und hektischen Aktionismus aus.
So wie das Automobil, erst zum Massenphänomen geworden, neben
Staus immer strengere Verkehrsvorschriften und immer mehr
Verkehrspolizisten notwendig machte, so dürfte auch das globale
Netz über kurz oder lang zwangsläufig groteske Überwachungsbehörden
und "WARs" hervorbringen. Es gehört wohl zur unüberwindbaren
Logik menschlicher Erfindungen, daß Nutzen und Mißbrauch nicht
nur von Anfang an um die Wette laufen, sondern, bei Lichte
besehen, untrennbar eins sind. Mögen die Troubadoure der schönen neuen Welt auch als "Spielverderber"
und Ignoranten schelten, wer in einem sich schließenden "Netz"
keine Befreiung zu entdecken vermag, wir müssen zur Kenntnis
nehmen, daß mit der Vernichtung des unvermittelten Erinnerns
durch Datenarchive, mit der technischen Perfektionierung unseres
Vergessens und der wirksameren Betäubung unserer Schmerzen jener
innerste, unbetäubbare Schmerz nur wächst. Natürlich, so räumt
die "kühle Berechnung" ein, sei da vieles heiße Luft
und manche Entwicklung fragwürdig, doch liege denn in der
Simulation des Lebens nicht unsere letzte Zukunft? Ist die Arbeit
an der immer perfekteren Illusion von Freiheit, das "Fühlkino"
Huxleys also, nicht der heroische Bau am letzten Mythos der
Menschheit? Jedem Verstummten also sein Handy, jedem
Blinden seine 300 TV-Sender und 500 Zeitungen täglich per
Internet. Was könnte noch aufbegehren und befruchten, wo alles
nur begehrt und noch mehr begehrt sein will. Überlassen
wir unseren Schmerz dem Netz, die nicht geschriebenen
Liebesgedichte dem Funksmog. Die Computer werden sich an uns
erinnern. Und jeder trägt fortan die Kamelhaut wie eine Krone. © HD Jünger / Erstabdruck in SCHEIDEWEGE 1999/2000
Da gibt es den Ahnungslosen,
er hat sich, nach langem Zögern, einen Computer zugelegt, weil
jeder einen besitzt und die Werbung ihn überzeugt hat, daß die
Bedienung ein Kinderspiel sei. Ein Kinderspiel vielleicht, aber
was nützt das jenen, die bisher vergeblich versuchten, einen
Videorecorder, Anrufbeantworter oder auch die volldigitale
Waschmaschine "zu programmieren". Da ist der Verspielte,
für den der PC eine Art Wohnzimmer-Spielhölle ist. Von den
zahllosen Simulationen über die verschiedensten Racing-, Baller-
und bizarren Adventure-Spiele bis hin zu ausgefallenen
Spezialprogrammen (wie z.B. eine Simulation des Angelns oder auch
einer alten mechanischen Schreibmaschine) ist alles vorhanden und
jederzeit abrufbar. Ein weiterer Typus, der Voyeur, bedarf keiner
Erläuterung, denn das Internet schwillt über vor Pornographie
und Kuppelanzeigen jeglicher Geschmacksrichtung, die der
besessene Archivar rastlos auf eigene CDs brennt. Da gibt es als
weitere Gruppe die Schnäppchenjäger, stets auf der Suche
nach preiswerter, also möglichst kostenloser Software, mit der
die Maschine gefüttert sein will. Stunden verbringt man damit,
überflüssige oder redundante Programme auf dem Rechner zu
installieren, ganze Tage aber damit, deren "Nebenwirkungen"
einigermaßen auszubügeln und die Selbstreferentialität
der schönen neuen Medien ist enorm. Der Zapper bzw.
die Chaterin im Internet, also die mit der
Telefongesellschaft direkt vernetzten User, sind eine Gattung für
sich. Was die Nur-Neugierigen, die Gewohnheitssurfer oder auch
die passionierten Chatforen-Besucher jedoch eint, ist vor allem
die Gleichgültigkeit gegenüber dem Computer als solchen.
Das ist im übrigen kein neues Phänomen,
denn auch die ersten Automobile waren den Postkutschen
nachempfunden, der Soldat behandelt sein Gewehr wie eine Braut,
der Disco-DJ seinen Plattenteller wie ein Instrument. Das "Netz"
wird einerseits engmaschiger, doch zwangsläufig wächst, aufs
Ganze gesehen, auch Dysfunktionalität. Wie jedem technologischen
Zeitgewinn stehenden Fußes ein neuer, größerer Zeitverlust
folgt, so fördert jeder scheinbare Funktionalitätsgewinn im
Kleinen er will ja seinerseits gesteuert, gepflegt und
verwaltet sein die Fragwürdigkeit im Großen und Ganzen.
Der Konsument meint Produkte in seinen Dienst zu stellen, in
Wahrheit stellen diese ihn in ihren Dienst, machen ihn zum
Kalfaktor einer grotesken, ferngesteuerten und "strangen"
Welt, in der auch und gerade das Gespräch und die
Kommunikation plötzlich eine bloße Ware und mautpflichtig wird.
Mit dem virtuellen Verschwinden von Zeit und Vergänglichkeit
schwinden diese selbst zwar noch keineswegs, wohl aber der Sinn für
die Würde des mühsamen Erinnerns, der Ahnen und
schließlich des Prinzip des Lebendigen und Unverfügbaren
überhaupt. Es verflüchtigt sich inmitten einer virtuellen
"Kommunikation mit jedem und keinem" gründlicher der kairos
als Einbruch der ekstatischen in die erstarrte, alltägliche Zeit.
Was als Überwindung und "Beherrschung" von Zeit und
Raum angepriesen wird, entpuppt sich immer deutlicher als ein
planmäßig organisierter Zeitraub, eine zunehmend vollständige
Enteignung von ureigener Lebenszeit und Freiheit. Was Paranoiker
uns als Befreiung verkaufen wollen, hinterläßt bei vielen
Menschen zunehmend das Gefühl, immer weniger Zeit zu haben
beziehungsweise die Zeit mit Falschem zu vertun. Vieles deutet
allerdings darauf hin, daß ein "überhandnehmendes
Maschinenwesen", das Goethe schon vermerkte, und eine
Existenz "im Gestell", die in unserem Jahrhundert
Heidegger so nachhaltig erhellte, solcher "Wundermittel"
inzwischen "physisch" bedarf, um, einem substituierten
Süchtigen vergleichbar, den schwindenden Lebens- und
Freiheitsinstinkt wenn schon nicht mehr zu heilen, so dich
wenigstens immer gründlicher zu betäuben. Wenn jener
unstillbare Schmerz in uns schon nicht zu stillen ist, gilt es
ihn zumindest vergessen zu machen: Ich kaufe, also bin ich!
Andenke nicht, telefoniere! Sorge nicht, surfe! Suche nicht,
greif zum Handy!
Schon jetzt ist die Online-Gesellschaft,
auch wenn man es tapfer ignoriert, alles andere als ein "freies"
oder gar "sicheres" Netz. Jeder Schritt eines
beliebigen Nutzers ist praktisch transparent und leicht
nachzuverfolgen, von den Kontobewegungen über die angewählten
Servicedienste bis hin zu vertraulichen und verschlüsselten E-Mails,
von den Autofahrten per Navigationssystem bis zu den zurückgelegten
Wegen per pedes und Handy. Kein "Netz", in dem man sich
nicht verfangen könnte. Der Eröffnungssatz aus Kafkas Prozeß
müßte eigentlich jeden Netzteilnehmer angehen: "Jemand
mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses
getan hätte, wurde er eines morgens verhaftet." Nur, daß
es dazu nicht mehr unbedingt einer Verleumdung bedarf, sondern
ein dummer digitaler Zufall, ein kleiner Bug in irgendeinem der
ungezählten Computerprogramme Ungeahntes auszulösen vermag,
denn die digitale Technik ist, jeder weiß es, alles andere als
fehlerfrei. Sie ist stattdessen präzise und unpersönlich,
aber unpersönlich nicht in dem Sinn, wie die Natur es, im
Gegensatz zu staatlichen Einrichtungen, ist, wenn sie Menschen
nicht nach Herkunft, Rasse oder Ausweis fragt, sondern in der Art
des ebenso gnadenlos Indifferenten wie gnadenlos Exakten, also
seellose Technokratie sozusagen in Perfektion.