Einen Einblick in die Baupläne für die schöne neue Welt gab vor einiger Zeit etwa der ehemalige Berater des amerikanischen Präsidenten Clinton, Ray Kurzweil: "Therapeutisches Klonen wird es uns gestatten, unsere eigenen Organe zu züchten. Wir machen so das Alter rückgängig, verlängern das Leben. Wir können in wenigen Jahren Hühnerbrust und Beefsteak direkt züchten, völlig ohne Tiere." Während die amerikanische Regierung mehrfach beschlossen hat, das Budget für Nanotechnologie und Bioinformatik zu verdoppeln, prohezeit Kurzweil:
"Als nächstes werden die Lebewesen, die sich die Technik ausdachten, mit dieser Technik verschmelzen. Diesen Verschmelzungsprozeß nennen wir heute noch Kommunikation. (...) Wir können Milliarden winziger Nanoroboter durch die Adern schicken, bis zum Hirn, um es von innen heraus zu kartografieren. Haben wir erst einmal den Gesamtüberblick, können wir beginnen, es technisch zu verbessern. Wir werden über die Daten in 25, 30 Jahren verfügen. Dadurch können wir unser Gedächtnis und unsere Denkleistung vergrößern. (...) Ich fühle mich frustriert, daß ich so viele Bücher nicht lesen, so viele Menschen nicht treffen, so viele Websites mir nicht anschauen kann. Deshalb bin ich geradezu scharf darauf, meinen Horizont zu erweitern. (...) Zwischen Maschine und Mensch wird es keine klaren Unterschiede mehr geben. (...) Wir erlangen die Macht über Leben und Tod (...) Unser Verständnis von Leben und Tod darf nicht zulassen, dass die Datei des menschlichen Geistes mit der Hardware stirbt. Wir werden darum Software und Hardware trennen müssen. (...) Therapeutisches Klonen wird es uns erlauben, unseren Körper zu verjüngen, ihn fast unendlich funktionsfähig zu halten...."
Verrückte Uhrmacher sind es bevorzugt, die sich über eine schöpferische Natur lustig machen und sie als "blinde Uhrmacherin" verspotten. So blind wie unsere heutigen Wissenschaftler, die ewige Jugend versprechen und vor ihren Websites Instanthühnchen ohne Huhn verzehren, die Karten brauchen, um ihr Hirn zu verbessern, ist die Natur indes wohl niemals gewesen. Es ist wohl wahr, daß sie, wie alles Poietische und Schöpferische, nicht einfältig, sondern tragisch ist. Jedenfalls unterscheidet sie sich doch gründlich von jenem bodenlos irrationalen Rationalismus, von dem die modernen Naturwissenschaften förmlich besessen sind und der schon immer eine Form des Verdrängens dieser Tragik war, also eine Fluchtbewegung. Cioran spricht davon, daß der Mensch als Deserteur der Natur "einen Automatismus im Verfall" erworben hat. Die Extropisten, Geblendete der Digitalisierung, aber fröhnen dem in einem echten Ritus. Daß der menschliche Fortschrittsglaube schon immer eine Art permanente "Flucht nach vorne" war, fechtet sie nicht an. Im Gegenteil, ihnen gerät diese Flucht aus Herkunft, Kosmos, Natur und Kultur zum eigentlichen Programm.
So liest man in den "Extropian Principles" von Max More, die in Anlehnung an die Menschrechtserklärung den Untertitel "A Transhumanist Declaration" tragen und unter www.maxmore.com inzwischen in "Version 3.0" vorliegen:
"Wir betrachten den heutigen Menschen als eine Übergangsphase zwischen seiner animalischen Herkunft und unserer postkreatürlichen Zukunft (...) Wir wollen diesen Evolutionsprozeß forcieren und die biologischen und mentalen Begrenzungen des Menschen hinter uns lassen. Wir sind nicht bereit, uns mit den unerwünschten Merkmalen des heutigen Menschen abzufinden (...) Wir erstreben mit Hilfe von Wissenschaft und Technologie die vorhandenen Grenzen hinsichtlich Lebenserwartung, Intelligenz, Potenz und persönlicher Freiheit zu sprengen (...) Wir wollen die Ausdehnung des menschlichen Lebens in das Weltall (...) Wir können keine Ressourcenverknappung erkennen, die dieses Wachstum behindern könnte (...) Die Besiedlung des Weltraums wird unserer Zivilisation neue Energiequellen und Bodenschätze in gewaltigem Ausmaß zuführen (...) Wir möchten das Universum nicht länger verzaubern, sondern nutzen, so wie wir immer mehr wissen, wachsen und uns des Lebens immer mehr erfreuen wollen..."
Tatsächlich ertappt sich der nicht-angelsächsische Leser dieser meist ebenso großspurigen wie leichtgewichtigen Extropisten-Deklarationen, die dem bekannten Motto "Think big, but not too much" zu folgen scheinen, öfters bei dem naheliegenden Gedanken, ob diese Mixturen aus Science-Fiction, Dope-Lyrik und fortgeschrittener Amnesie in ihren ständig neuen "Versionsnummern" am Ende nicht eine Art geschickt inszenierte Realsatire sind, vergleichbar den absichtlich sinnlosen Posthumanismus-Texten, wie sie etwa eine "Dada-Engine" auf www.elsewhere.com anbietet (übrigens lesenswert!). Doch während man sich hier lustvoll und verballhornend ausschließlich europäischen, vornehmlich französischen Diskursen annimmt, vermißt man auf den Extropy-Seiten selbst den geringsten Anflug von Selbstironie: Alles todernst gemeint. Wir dürfen schließlich nicht vergessen, daß Autoren wie Max More oder Ray Kurzweil sehr einflußreiche Akteure der New Internet-Economy sind, die mit diesen publikumswirksamen Manifesten, denen seriöse Feuilletons längst breiten Raum geben, auch handfeste ökonomische Ziele verfolgen.
Unter www.transhumanist.org kann man eine ausführliche "FAQ" (das steht für "Frequently Asked Questions", wie sie Softwareentwickler ihren oft fehlerbeladenen Produkten beilegen) - hier in der "Version vom 13. Mai 1999" zitiert - zu den extropischen Visionen finden. Nachdem wir darüber belehrt worden sind, daß die heutige menschliche Spezies "nicht das Ende unserer Evolution" sei, sondern "eher ihr Beginn", wird das auffallend häufig begegnende Nahziel des "transhumanistischen Denkens" formuliert: "using technology to eliminate aging".
Dieser Wunsch "das Altern zu eliminieren" - übrigens begegnen wir dem Wort "elimieren" noch häufiger als dem Ausdruck "optimieren" -, dieser Wunsch ewig zu leben, ist zwar nicht besonders originell. Neu an diesem mephistophelischen Motiv ist aber, von aller abgründigen Dialektik gereinigt, die Haltung, tatsächlich an deren Machbarkeit zu glauben, ja diese Naherwartung auf die eigene verbleibende Lebensspanne zu projizieren, das heißt, die ewige Jugend innerhalb der nächsten zwei oder drei Jahrzehnte für "biotechnisch machbar" zu halten. Dagegen sieht unser guter Faust natürlich alt aus. Wonach die kalifornischen Herolde in ihrer Midlife-Crisis lechzen ist ein biotechnischer Jungbrunnen, sozusagen eine Art techno-digitales Viagra. Ganz sicher kann man sich natürlich nicht sein, daß diese Naherwartung in Erfüllung geht, weshalb jene amerikanischen Unternehmen, in denen man sich bis zum Tag X in Stickstoff einfrieren und konservieren lassen kann, regen Zulauf verzeichnen.
Wer darf sich zu den Post- oder Transhumanisten rechnen? Nun einfach alle, die nicht länger Mensch im herkömmlichen Sinn sein oder bleiben wollen, sondern sich nano-/biotechnisch und digital "aufbessern" wollen: "Als Posthumaner übertreffen deine geistigen und körperlichen Fähigkeiten bei weitem jene von nicht aufgebesserten Menschen. Du wirst smarter als alle bisher bekannten menschlichen Genies sein und dein Gedächtnis wird umfassend sein und leichtfallen..." So einfach und leicht zu haben erscheint "das Geniale" und "das Erinnern" dort, wo man von seinem eigentlichen Charakter offenbar nicht das geringste mehr ahnt.
Glaubte die Renaissance und der Humanismus noch, daß die Veredlung des Menschen allein durch Geistes- und Herzensbildung, also durch unmittelbare Besinnung und Erfahrung möglich sei, so sehen die Transhumanisten darin nur eine Frage der Technik und der Ersatzteil-Logistik. Weitaus unbedarfter und naiver auch als ein Marinetti oder die bolschewistische Avantgarde der 20er Jahre verehren die neuen Menschenperfektionierer jede Form von Machinisierung und Technisierung, die "Selbsttransformation" des herkömmlichen Menschen in ein machinoides Posthumanum. Als hätte man Scientologen Extasy verabreicht, ergötzen sich selbsterklärte Transhumanisten in der Beschwörung einer imaginären "allmächtigen Supraintelligenz": puerile Phantasien statt Perspektiven für die Menschheit, niemals war mehr Zukunft - und niemals mehr Flucht in eine ungewissere Zukunft. Ihr geheimer Wahlspruch entstammt dabei nicht, wie oft behauptet, Nietzsches dionysischer Zivilisationskritik und natürlich erst recht nicht jenem sokratischen Wissen um unser Nichtwissen, sondern eben von jenem bereits zitierten Mister Spock.
Die ausgeliehenen Gesten eines neuen Aufbruchs, des Libertären und Renaissancehaften können nicht darüber hinwegtäuschen: zehrte noch jedes humanistische Menschenbild insgeheim von dem Gedanken, daß das Entscheidende niemals technisch oder gar käuflich sein könnte oder auch nur sein dürfte, so stellt dieses transhumanistische Versprechen des ewigen Jugendglücks diese unverzichtbare condition humaine gerade auf den Kopf: Vor allem mittels käuflicher Technik soll sich der bevorstehende "endgültige Fortschritt" vollziehen. Diese "Aufbesserung" wäre also aus herkünftiger humanistischer Sicht also bestenfalls eine Barbarisierung. Die extropistischen Fluchtversuche aus der um uns herum wachsenden Entropie erscheinen so als eine Art Exorzismuß des Humanen. So wie jenes "easy remembering" nur eine vollendete Amnesie wäre, da sie ja gar nicht mehr weiß, was sie vergessen hat. Der Transhumanist will selbst nichts mehr als eine möglichst störungsfrei "funktionierende" und programmierbare Maschine sein.
Hier bestätigt sich nur einmal mehr, daß der Mensch bereits hinreichend "entkernt" und digital-machinal "umprogrammiert" sein muß, bevor er in einem finalen Maschinenwesen Ziel und Erlösung seiner eigenen Existenz erblicken kann bzw. für die extropische Aufbesserung hinreichend "vorbereitet" ist. Er muß bereits von der abgründigen Logik des Technischen und Käuflichen so nachhaltig durchdrungen sein, daß er die Trennung von seiner ureigenen Freiheit als Befreiung, das vollständige Verschwinden und Aufgehen in einem allmächtigen technoiden Gestell als endgültigen Fortschritt und Neuanfang empfinden kann. Eine nicht ganz unwesentliche Begleiterscheinung dieser Entwicklung ist freilich der rückseitige Vorgang, den man die Wiederauswilderung des Geistigen nennen könnte. In dem Maße wie der "überholte" fragende und nachdenkliche Mensch in den neuen Katakomben sich selbst überlassen bleibt, könnte es sein, daß gerade diese neue Freiheit auch unerhoffte Überraschungen befördern könnte. Was sich dem allgegenwärtigen Gebot störungsfrei und immer besser und smarter "zu funktionieren" erfolgreich entzieht, darauf dürfen zumindest die Noch-Menschen Hoffnungen richten.
Es sind derzeit vor allem drei heftig umkämpfte technologisch-ökonomische Frontabschnitte, von deren Zusammenwachsen sich die Transhumanisten/Postkreationisten die schöne neue Machinoidenwelt als das ewige Glück erhoffen: "intelligente" Computer, Bio- und Gentechnik sowie die sog. Nanotechnologie, also die Entwicklung technischer Geräte in immer kleineren Mikrodimensionen. Die us-amerikanische Regierung hat die staatlichen Mittel für diese Forschungsbereiche seit Jahren immer weiter aufgestockt. Insbesondere von der Nanotechnologie erhoffen sich die Spekulanten auf ewige Jugend "unvorstellbar nachhaltige Fortschritte", etwa die "vollständige Kartografierung unseres Gehirns", die "kostengünstige Kolonisierung des Weltalls", Miniaturmaschinen, die kranke Zellen "reparieren" oder aber sich selbst kopieren, für Heere von winzigen Arbeitssklaven etwa, oder aber auch zur Züchtung von Hühnchenfleisch aus der Retorte ganz ohne Hühner. Transhumanisten können die Kreuzung von Mensch und Maschine, die Schaffung einer "Supraintelligenz", die man sich dann gleichsam per Nanotechnologie implantieren oder "uploaden" kann, kaum erwarten und fiebern dem entgegen wie die Christen vor 2000 Jahren auf die leibhaftige Parusie Christi.
Die Transhumanisten sind aber nicht nur Manichäer, die unentwegt Fragwürdiges, Rück- und Widerständiges, wie es heißt, "eliminieren" wollen, um im Gegenzug die eigenen Fähigkeiten, vergleichbar ihrem Gehalt, "aufzubessern" und "zu optimieren". Sie sind nicht nur Kinder einer fortschreitenden digitalen Amnesie, die das Erinnern mit dem seelenlosen Datensilo einer Computer-Festplatte verwechseln. Sie bekennen sich auch offenherzig zu einem ökonomischen Neomalthusianismus, der Zeugungseinschränkungen für unterentwickelte Völker das Wort redet, um zugleich den technologisch und digital überlegenen Transhumanisten für den Fall, daß die Erde doch nicht mehr zu retten sein sollte, die Option von Weltraumkolonien anzubieten. Denn aus "kosmischer Sicht" ist die Erde für sie ohnehin ein "völlig unbedeutender winziger Flecken". Allerdings sind die selbsterklärten "neuen Halbgötter" sich noch unschlüssig, ob es besser sei, die Erde den zurückgebliebenen Noch-Menschen zu überlassen, um selbst eine Zukunft auf anderen Planeten zu suchen, oder aber umgekehrt, die überschüssigen Armen auf fremden Planeten auszusetzen, um selbst den Erdplaneten nach ihren Plänen neu einzurichten.
Die, zumindest für rückständige Humanisten, erhellendste Formulierung der Extropie-Manifeste aber steckt vielleicht in einem kleinen Nebensatz, der die Fassungslosigkeit der transhumanistischen Vordenker zum Ausdruck bringt , und zwar die Fassungslosigkeit vor einem Denken, das - im Interesse des Lebens - auch die Vertrautheit mit dem Gedanken an den Tod für notwendig hält, also vor dem Denken überhaupt: "Einige existentialistischen Philosophen glaubten sogar", wird da entsetzt hervorgehoben "daß ohne Tod auch das Leben selbst sinnlos werden müsse!" Dieses Ausrufezeichen macht alle fehlenden Fragezeichen dieser Manifeste verständlich. Je kühner und furchtloser sich dieser verzweifelt Wille zur Zukunft nach außen gibt, um so weniger vermag er doch seine Wurzeln in einer geradezu paranoid gewordenen Lebensangst verleugnen. Die Wahrheit aber, auch unsere eigene, liebt es - wie die Natur - sich zu verbergen.
© HD Jünger / Erstabdruck in FRANKFURTER RUNDSCHAU